Vielleicht kennst du diese starke Angst, deinen Partner zu verlieren oder du stellst bei deinem Herzblatt ein intensiv klammerndes, kontrollierendes oder teilweise manipulierendes Verhalten fest. Genau solche Situationen belasten eure Beziehung?
Das ist unangenehm, denn es kommt aus einem negativen Gefühl: Verlustangst. Wahrscheinlich entsteht diese Angst oder dieses Verhalten nicht mal durch äußere Umstände oder tatsächliche Ereignisse.
In beiden Fällen könntet ihr es mit einer Form von Verlustangst zu tun haben. Dabei handelt es sich um die teilweise ins Irrationale gesteigerte Befürchtung, den anderen zu verlieren.
Verlustängste sorgen in den meisten Fällen für eine schwierige Dynamik innerhalb eines Paares. Denn wer sich mit Klammern und Kontrollsucht konfrontiert sieht, reagiert nicht selten mit einem Ausweich- und Vermeidungsverhalten. Daraufhin verstärkt der klammernde Partner wiederum die eigenen Bemühungen, den anderen unbedingt bei sich zu behalten. Ein kleiner Teufelskreis entsteht.
Wenn es euch in dieser Situation nicht gelingt, die hinter euren jeweiligen Handlungen liegenden inneren Prozesse zu durchschauen, kann das euer Miteinander erheblich stören. Erfahre hier mehr über dieses weit verbreitete Angstverhalten im Zusammenhang mit einer Partnerbindung, seine Ursachen und mögliche Lösungen.
Ich kann ohne dich nicht leben
Ängste gehören allgemein zur menschlichen Existenz und haben in einem gewissen Rahmen auch eine sinnvolle Funktion, um dich vor Gefahren zu warnen und dein Verhalten entsprechend zu beeinflussen. Auch die Bindung zu einem anderen Menschen kann durch Angstverhalten geprägt sein.
Oft geht das auf belastende Erfahrungen – beispielsweise in der Kindheit – zurück, in der Bindungs- und Liebesbedürfnisse nicht ausreichend befriedigt worden sind. Nicht selten berichten Männer davon, in der Schule nur deshalb gute Noten geschrieben zu haben, um der eigenen Mutter zu gefallen. Hat diese allerdings nicht entsprechend positiv reagiert, wurde das Bedürfnis nach Anerkennung nicht erfüllt und musste immer wieder neu bearbeitet werden.
Hat er hingegen eine schlechte Note Heim gebracht, wurde geschimpft und getobt. Ein Teufelskreis entstand, aus dem später die Angst vor Versagen und Verlassen werden entsprang.
Erlebnisse in vorangegangenen Liebesbeziehungen, die mitunter sehr negativ verlaufen sind, können später eine Verlust-Angst bei jeder sich neu entwickelnden Paarbeziehung hervorrufen. Ebenso, wenn du einen Teil deiner Familie in jungen Jahren verloren hast.
Interessanterweise kannst du auch unter derartigen Ängsten leiden, wenn der aktuelle Kontakt zu deinem Liebsten dir nicht guttut oder du von deinem Gegenüber Missachtung, in extremen Fällen sogar Gewalt erfährst.
Bist du in Bezug auf deine Bindung zu einem anderen Menschen von der Angst besessen, diese zu verlieren, geht es dir nicht um die Gefühle für diesen Menschen oder um dein Wohlbefinden sowie Glücksgefühl.
Wenn du unter Verlust-Angst leidest, liebst du nicht etwa besonders intensiv. Es mag zwar nach außen so aussehen, als wäre das der Fall, weil du als ängstlicher Teil innerhalb der Beziehung so offensichtliche Bemühungen zeigst, den anderen zu halten. Dennoch hat das zwanghafte, angstgetriebene Verhaltensrepertoire meist kaum etwas mit Liebesgefühlen im positiven Sinne zu tun.
Wie beeinträchtigt Verlustangst dein Leben?
Du wirst in einer akuten Episode von Verlustangst nur getrieben von dem Gedanken, den anderen zu verlieren. Diese Gedanken können verschiedene Intensitäten aufweisen und dein ganzes Verhalten prägen.
In deinem Inneren scheint die Vorstellung, der andere könnte dich verlassen, als das Schlimmste, was passieren kann. Diese Verlustangst beeinträchtigt dein Selbstbewusstsein und dein Selbstwertgefühl in erheblichem Maße. Von der inneren Angst geschüttelt, fühlst du dich gegenüber deinem Partner minderwertig und bist deshalb der Überzeugung, dass dieser gerade dabei ist, dich zu verlassen.
Vermutlich setzt du in der Folge eine Reihe von Mechanismen in Gang, um eine solche Entwicklung unbedingt zu verhindern. Du kontrollierst zum Beispiel das Telefon, den Posteingang und weitere persönliche Kommunikationsformen sowie den Alltag deines Partners in vollem Umfang.
Du klammerst dich in jeder Hinsicht an ihn/sie, zeigst ein übertriebenes Kontaktverhalten etwa durch ständige Anrufe oder unangekündigte Besuche. Dein Verhalten wirkt dabei zwanghaft und ist nicht von positiver Zuwendung zum anderen motiviert.
Nicht selten bekommen von dir gezeigte Verhaltensweisen in diesem Kontext wahnhafte, irrationale Züge, die ihrerseits dein Gegenüber sehr erschrecken und tatsächlich von dir wegtreiben können. Es geht hier zum Beispiel um besitzergreifendes und eifersüchtiges Verhalten, weil sich in deiner Vorstellung häufig auch die Überzeugung durchsetzt, der andere würde dich betrügen.
Gelingt es dir nicht, hier wieder die Kontrolle zu bekommen, steht am Ende nicht selten die selbsterfüllende Prophezeiung und der andere verlässt dich tatsächlich. — Es tritt genau das ein, was du vermeiden wolltest.
Ich lass mich nicht kontrollieren
Begegnet dir dein Liebster/deine Liebste anklammernd, wirst du, abhängig von deinen persönlichen Erlebnissen und deiner Geschichte, vielfach die Befürchtungen deines Partners bestätigen. Du reagierst dann nämlich mit Rückzugs- und Ausweichverhalten.
Dieser Prozess konträrer Verhaltensweisen – einer von euch nähert sich dem anderen „zu stark„, während der andere zurückweicht – kann einen Automatismus annehmen. Dabei geht es dann um Verhaltensmuster, die keiner von euch mehr bewusst durchdringt.
Evolution und Instinkte
Siehst du dich beispielsweise in einem Urwald einem wilden Tier gegenüber, sorgen unter anderem automatisierte Angstreaktionen dafür, dass du jetzt schnell die Flucht antrittst.
Angstverhalten gehört dabei zu den ältesten emotionalen Triggern des Menschen, die über Teile des menschlichen Gehirns abgewickelt werden und schon sehr frühzeitig in der menschlichen Evolutionsgeschichte entstanden sind.
Denke nur mal daran, wie manche Menschen (vielleicht auch du) reagieren, wenn sie in im Augenwinkel einen schwarzen Schatten mit auch nur einer Andeutung von acht Beinen wahrnehmen. Diese Situation regt unsere Amygdala (der Mandelkern im Gehirn) an und bringt uns zu dem angstvollen Schluss, es müsse sich um eine (gefährliche) Spinne handeln. Was danach passiert, weißt du wahrscheinlich selbst.
Biologen und Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer Konditionierung. Konditionierungen entziehen sich zum großen Teil bewussten Entscheidungen, wenn es nicht gelingt, bestimmte Verhaltenskreisläufe zu durchbrechen. Furchtkonditionierungen können sich nicht nur im Hinblick auf reale Gefahren entwickeln, sondern beispielsweise auch aus traumatischen Erlebnissen im zwischenmenschlichen Miteinander entstehen.
Meist verankern sich diese Ereignisse besonders tief in uns, wenn sie große Schmerzen in uns ausgelöst haben. Je nachdem, wie intensiv ein entsprechendes Erlebnis für dich war, geht es dir in Zukunft nur noch darum, die damit verbundenen Schmerzen zu vermeiden – und das scheint durch die passenden Konditionierungen gesichert.
Verlustangst oder auch Bindungsangst?
Um dich selbst in dieser Situation noch besser zu verstehen, ist es nützlich, auch die spezielle Natur von Verlust- und Bindungsängsten zu erkennen. Du kannst dir dabei eine Gerade vorstellen, an deren einem Ende „Verlust“ und an dem anderen Ende „Bindung“ steht.
Tatsächlich stellen die beiden Angstformen auch verschiedene Enden eines Stranges dar. Leidest du also an Verlustängsten, hast du häufig auch versteckte Bindungsangst. (Umgekehrt gilt das auch.) Gelingt es dir, diesen Kontext nachzuvollziehen, durchschaust du den Teufelskreis, der in vielen Paarbeziehungen und vielleicht auch in deiner für so große Schwierigkeiten sorgt:
In abwechselnder Rollenverteilung ist permanent einer von euch in der Klammerposition, der andere auf der Flucht. Dabei werden die Ängste und Reaktionen durch die Handlungen des jeweils anderen gesteigert. Wahrscheinlich ist dir von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet klar, wie belastend sich derartige Angstkreisläufe auf eure Liebe auswirken können.
Selbst wenn du deinerseits kaum von Bindungsängsten geprägt bist und auch kein automatisiertes Ausweichverhalten gegenüber Kontroll- und Klammerverhalten zeigst, wirst du auf Dauer nur ungern mit den übergriffigen Verhaltensweisen deines Partners leben wollen. Wie also kannst du mit Verlustängsten umgehen?
Der erste Schritt ist die Erkenntnis
In einem ersten Schritt ist es wichtig zu erkennen, dass du es mit Verlust-Angst zu tun hast. Das gilt insbesondere, wenn du der angstvolle Teil bist. Ebenso ist die Erkenntnis hilfreich, wenn du Partner/Partnerin eines unter Verlustängsten leidenden Gegenübers bist.
Sind die Ängste nicht so intensiv ausgeprägt, kann bereits eine große Veränderung erreicht werden – sofern du dich diesen Ängsten stellst. Du betrachtest die gesamte Situation dann mit einem gewissen Abstand, und es kann dir auch gelingen, Konditionierungen zu durchbrechen.
Bist du der flüchtende Teil einer derartigen Paarbeziehung? Dann lohnt es sich für dich ebenfalls, dein Ausweich- und Vermeidungsverhalten einmal genau zu beleuchten. Idealerweise kommt ihr infolge dessen über die gesamte Thematik ins Gespräch und findet für euch Alternativen, passend damit umzugehen.
Wann ist professionelle Hilfe notwendig?
Die zugrundeliegenden inneren Prozesse können sehr intensiv sein. Verlustangst geht vielfach einher mit vermindertem Selbstwertgefühl und einem konditionierten Verhaltensmuster in der Stressbewältigung.
Sind deine Angstgefühle und deine Verhaltensweisen im Zusammenhang mit einer Paarbindung sehr intensiv ausgeprägt, kannst du dir professionelle Hilfe zum Beispiel bei einem Verhaltenstherapeuten suchen. Dieser wird dir dabei helfen, die inneren Prozesse aufzuarbeiten sowie angemessene, weniger belastende Reaktionen auf Gefühle und Ereignisse in der Beziehung zu finden.
Dabei wird es auch um eine möglicherweise ebenso vorhandene Bindungsangst gehen. Es versteht sich von selbst, dass solche Therapien einige Zeit in Anspruch nehmen können. Ihr solltet deshalb in der Zwischenzeit als Paar einen Weg finden, mit akut auftretender Verlust-Angst umzugehen.
Verständnis und Geduld sind wichtig
Eine ausgeprägte Verlustangst lässt sich nicht von heute auf morgen bewältigen. Der Fortbestand eurer Liebe ist deshalb auch davon abhängig, wie ihr als Paar mit Belastungssituationen umzugehen lernt. Das ist nicht immer einfach.
Als Partner eines von Verlust-Angst geprägten Gegenübers stehst du vor der Herausforderung, deine eigenen Fluchtimpulse zu steuern. Denn obwohl du dich entsprechend abgrenzen möchtest, liegt es dir wahrscheinlich trotzdem am Herzen, dem anderen deine Liebesgefühle zu versichern.
Als ängstlicher, klammernder Teil des Paares wirst du wahrscheinlich versuchen müssen, Schritt für Schritt besser mit deinen Ängsten umzugehen. Versuche, die Klammertechnik zu verringern.
Warum es sich lohnt zu kämpfen
Verlustangst ist ein weit verbreitetes Phänomen, ebenso wie Bindungsangst. Viele Paare leiden mindestens zeitweise an sich gegenseitig steigerndem Angstverhalten.
Vielleicht hast du entsprechende Erlebnisse schon in mehreren Beziehungen gehabt und dabei die Schuld auch beim anderen gesucht. Dabei kann es allerdings in diesem Kontext nicht um Schuld gehen.
Nur, wenn du dich mit deinen eigenen Ängsten konfrontierst, ist eine Weiterentwicklung in persönlicher Hinsicht möglich. Dabei ist dein Gegenüber in der Paarbeziehung nicht dein Gegner, sondern dein Helfer.
Wer könnte deine Ängste und Emotionen besser verstehen als jemand, der das andere Ende einer Linie repräsentiert? Gerade, wenn ihr in einem Kreis von Klammer- und Ausweichverhalten gefangen zu sein scheint, bestehen die besten Voraussetzungen dafür, diese Gemengelage unangenehmer Gefühle zu beenden.
Dafür musst du nicht auf den nächsten Liebsten warten, sondern kannst jetzt in dieser Partnerschaft auf Augenhöhe damit beginnen, dich selbst und den anderen besser kennenzulernen. Verlustangst ist nicht dein Schicksal, sondern eine Form von Angst, die überwunden werden kann. Es ist allerdings keine Lösung, den Kopf in den Sand zu stecken und einfach so weiterzumachen wie bisher.
In aller Regel führt ein solches Verharren in destruktiven Mustern zum baldigen Beziehungsende. Traue dich also und tausche dich ehrlich und empathisch mit deinem Partner über die Situation aus. Nutzt gemeinsam die Chance, an eurer Partnerschaft zu arbeiten und euch wieder miteinander wohlzufühlen.